Hitlerjugend Ausstellung | Bildquelle: RTF.1

Tübingen:

Jugend im Gleichschritt - Ausstellung zur Hitlerjugend im Landratsamt Tübingen

Stand: 17.01.18 16:16 Uhr

Kameradschaft, Disziplin, Gehorsam und Dienst am Vaterland - dafür stand die Hitlerjugend. Oder besser gesagt, das waren die Werte, die nach außen propagiert wurden. Doch wie sah es hinter den Kulissen des staatlichen und offiziell einzigen deutschen Jugendverbands ab 1933 wirklich aus? Eine Frage, der sich jetzt eine Ausstellung im Foyer des Tübinger Landratsamtes widmet. "Jugend im Gleichschritt!? - Die Hitlerjugend zwischen Anspruch und Wirklichkeit" des NS-Dokumentationszentrums Köln zeigt Bilder abseits der Propaganda.

"Was sind wir? Pimpfe! Was wollen wir werden? Soldaten!" - Floskeln wie diese waren es, die bereits zehn-jährigen Kindern immer und immer wieder eingetrichtert wurden. Doch bei den bloßen Reden blieb es in der Hitlerjugend bei weitem nicht. Bereits die Jüngsten wurden am Luftgewehr ausgebildet – auf äußerst perfide Weise. Denn geschossen wurde nicht etwa auf normale Zielscheiben.

Dr. Martin Rüther, Projektleiter des NS-Dokumentationszentrum erklärte, dass die Hitlerjugend, zumindest in Teilbereichen, eigene Zielscheiben entwickelt hatten, die die Silhouette eines Soldaten darstellten. Die Zielscheibe habe aus dem Kopf, dem Stahlhelm, den Schultern und dem Gesichtsfeld, einem weißen Oval, bestanden. Wer mitten rein getroffen habe, d.h. auf die Nase, der sei der Beste gewesen.
Die Idee dahinter sei gewesen, dass die Hemmschwelle beim Schießen deutlich abgeschwächt werden würde.

Oberstes Ziel der Hitlerjugend war schließlich kein anderes als die frühzeitige Wehrerziehung der jungen Männer.

Das war ein klar vorgezeichneter Lebensweg gewesen, Soldat des Führers zu werden. Die Frauen sollten ihrem Führer Soldaten schenken.

Betrachtet man die Mitgliedszahlen, scheint das auch geglückt zu sein – geschätzte acht Komma sieben Millionen Jugendliche waren dabei. Doch was nach viel klingt, muss differenzierter betrachtet werden.

Dr. Martin Rüther sagte hierzu: „Auf dem Land musste man längst nicht so diszipliniert sein, längst nicht so oft am Jungvolk Dienst teilnehmen, wie das in der Stadt war, wo man schnell im Zugriff war. Da spielte sich ja alles in einem Straßenzug ab, in den Großstädten".

Entgegen dem von der Propaganda nach außen vermittelten Bild, war die Hitlerjugend nämlich keine "homogene Masse" frenetisch dem Führer zujubelnder Jugendlicher. Jedes einzelne Hitlerjugend-Mitglied habe seine ganz eigene Geschichte.

„Zunächst musste man ja nicht Mitglied sein – offiziell – zumindest bis März 1939 – aber das NS-Regime, die Reichsjugendführung hatten schon Mittel und Wege den Druck aufzubauen und zu erhöhen. Wenn man z.B. nicht Mitglied war, im Jahr 34/35, konnte es passieren, dass man nach Abschluss der Volksschule mit 14 Jahren keine Lehre bekam", teilte der Projektleiter des NS-Dokumentationszentrum mit.
Doch ob unfreiwillig oder freiwillig Teil der Organisation – die unterschwellige Beeinflussung zeigte Wirkung.

Immer wieder hätten die Rekruten Lieder und Texte üben müssen und diese singen. Durch permanente Wiederholung bekomme man die Inhalte in den Kopf und zwar so, dass die Zeitzeugen diese heute noch großteils auswendig kennen, nach 70/80 Jahren, so Rüther.

Bei der Eröffnung der Ausstellung wusste auch der Gastgeber, der Tübinger Landrat Joachim Walter von solchen "Nachwirkungen" in den Köpfen der Menschen zu berichten.

Er habe bei den Pfadfindern sein erstes Sommerlager im Elsaß gemacht und sei dann durch die Vogesen gewandert. Er sei mit Kluft, Halstuch und Rucksäcken unterwegs gewesen - und vor allem ältere Menschen seien sehr ablehnend ihm gegenüber gewesen. Sie hätten ihm klipp und klar erklärt: Sie bräuchten keine Hitlerjugend mehr. Er habe es überhaupt nicht verstanden.

Vielleicht nicht verstehen, aber wenigstens erinnern und kritisch hinterfragen – dazu will die Ausstellung, die noch bis zum zwei-und-zwanzigsten März geht, anregen. Und gleichzeitig sensibilisieren, damit sich die Vergangenheit nicht wiederholt.

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