Helmut Haussmann | Bildquelle: RTF.1

Bad Urach:

"Kein Brexit unter Kohl": Ehemaliger Bundeswirtschaftsminister Haussmann würdigt Kohl. Kritik an Europapolitik unter Angela Merkel.

Stand: 18.06.17 09:51 Uhr

Der in Bad Urach wohnende ehemalige Bundeswirtschaftsminister und langjährige FDP-Generalsekretär Helmut Haussmann hat gegenüber RTF.1 Helmut Kohls Leistungen"als historisch" und "bleibend" um die deutsche Wiedervereinigung und die fortschreitende Integration Europas gewürdigt. Gleichzeitig übte Haussmann Kritik an der Europapolitik in der Nach-Kohl-Zeit. Einen Brexit, so Haussmann, hätte es unter Kohl nie gegeben. Zugleich kritisierte Kohls langjähriger politischer Weggefährte Angela Merkels vorgehen in der Flüchtlingskrise gegenüber den kleineren EU-Ländern. Für diese habe Kohl immer ein offenes Ohr gehabt. Auch die auf eine schnelle Vergrößerung der EU ausgerichtete Politik Brüssels sei falsch und hätte es, nach Haussmann, unter Kohl so nicht gegeben.

Kohl hinterlasse Deutschland ein großes Vermächtnis und eine Verpflichtung - grade angesichts der derzeitigen europäischen Krise.

Als Kohls Verdienste um die deutsche Einheit bezeichnete Haussmann Kohls Sichtweise, dass er diese immer mit der europäischen Einigung zusammen gedacht habe. Das hätten weder Adenauer noch Brandt geschafft.

Als Historiker habe Kohl ein tiefes, auch emotionales Verständnis für Situationen, Menschen und die Interessen anderer Länder entwickelt. Kohl habe hier eine besondere "Wirkungsmacht" und ein langfristiges Denken entfaltet. Als herausragend seien dessen Fähigkeit zu bezeichnen, sich in andere einzufühlen, emotionale Bindungen und Vertrauen aufzubauen. Das Vertrauen des damaligen französischen Präsidenten Francois Mitterrand und des russischen Präsidenten Gorbatschow zu gewinnen,  sei bei der außenpolitischen Durchsetzung der Einheit entscheidend gewesen.

In diesem Zusammenhang übte Haussmann auch Kritik an der Europa-Politik von Kohl-Nachfolgerin Angela Merkel. Wie in der Flüchtlingskrise habe diese es versäumt, "ein offenes Ohr" für die Sorgen und Nöte anderer EU-Länder zu haben. Unter Kohl, so Haussmann, hätte es einen Brexit nicht gegeben.

Auch die auf eine schnelle Vergrößerung der EU ausgerichtete Politik Brüssels sei falsch. Kohl habe vor weiteren Beitritten immer zu erst auf eine Vertiefung der Integration gesetzt. Seit dem Ende von Kohls Kanzlerschaft habe es "keine größeren integrativen Visionären Fortschritte in Europa" mehr gegeben: "Es wurde im Grunde nur noch erweitert und nicht vertieft". Dass dies alles nicht mehr beachtet worden sei, habe "Europa in die Krise geführt".

Dass Kohl zu Lebzeiten oft medial und von Teilen seiner Gegner als Provinzpolitiker verhöhnt, ja angefeindet worden sei, habe mit "der Missgunst der Linken" zu tun. Diese hsbe sich "nie historisch" mit Kohls Politik beschäftigt, sondern diesen stattdessen mit "Äußerlichkeiten, Dialekt, Größe oder Ausehen" niedergemacht. Kohl habe sich nicht beirren lassen,  sondern, ungeachtet dessen, "sein Ding gemacht. Wenn man jetzt die lobpreisenden Nachrufe lese, müsse "man sich schon wundern, wie sie damals über ihn hergezogen haben".  "Am Ende" entscheide aber "eben die Geschichte und die hat entschieden für ihn".

Als Vermächtnis der Kohlschen Politik bezeichnete Haussmann, die deutsch-französische Freundschaft unter Macron wieder zu stärken und  kleinere EU-Länder "nicht zu vernachlässigen. Zudem brauche es das von Kohl in Europa praktizierte Konzept der zwei Geschwindigkeiten, bei dem Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten beim Vertiefen Europas wieder voran gingen. Andere Länder, so Haussmann, könnten dann, je nach eigener Entscheidung und ohne Druck,  freiwillig nachfolgen.

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