Boris Palmer im RTF.1-Interview | Bildquelle: RTF.1

Tübingen:

Ein Jahr "Wir schaffen das": Palmer fühlt sich bestätigt: Realität habe sich Kritik entgegen bewegt

Stand: 31.08.16 17:35 Uhr

Mit seiner damals auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise auf die Bundeskanzlerin gemünzten Aussage "Wir schaffen das nicht" hat sich der Tübinger OB Boris Palmer vor einem Jahr den Unmut seiner grünen Partei, aber auch anderer politischer Kräfte zugezogen - und mutierte für viele zum Prügelknaben. Zum Jahrestag des mittlerweile berühmten Merkel-Diktums sieht sich der Tübinger Grünen-Politiker indessen durch die Entwicklungen bestätigt. Es sei genau so gekommen, wie er es vorausgesagt habe. Und auch das, was er gefordert habe, sei mittlerweile reale Politik geworden.


August und September 2015: Die Flüchtlingswelle erreicht immer neue Höhepunkte: Rund 11 000 Menschen strömen pro Tag nach Deutschland. Am Ende des Jahres werden es rund eine Million Zugewanderte sein. Am 31. August sagt die Bundeskanzlerin dann jenen Satz, der bis heute ihr Diktum ist: "Wir schaffen das". In einem humanitären Akt öffnet sie die Grenzen-Startsignal für einen weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen.

In der Folge hatte Boris Palmer mit dem Satz „Wir schaffen das nicht" widersprochen – und sich damit ins Zentrum eines wahren Proteststurms des politischen Parteien-Establishments, vor allem aber der eigenen grünen Partei gerückt. Palmer spricht von kippender Stimmung und „Grenzen der sozialen Belastbarkeit" und fordert eine Begrenzung. Zwei Sachen seien jetzt erforderlich, so Palmer: "Zum einen müssen wir die, die wirklich Schutz brauchen –Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, allen voran aus Syrien - schneller und besser Zuflucht gewähren; und zum anderen müssen wir auch diejenigen, die keinen Anspruch auf Asyl haben, klarer auf ihre Heimatländer verweisen".

Palmer warnte vor dem Scheitern der Flüchtlingspolitik, wenn ein jährlicher Zustrom von 800 000 und mehr anhalte. Zwar verstehe er, dass "die Grundfrage meiner Partei immer die (war), dass das Grundrecht auf Asyl unangetastet bleiben soll. Und das sehe ich auch so. Ganz objektiv wird aber jeder einsehen: wenn im kommenden Jahr 10 Milllionen Menschen kämen, dass dann irgendwann eine solche Grenze überschritten wird".

Palmer hatte als Konsequenz zudem auch den Aufbau einer bewaffneten europäischen Grenzsicherung gefordert - und damit auch von seinem politischen Ziehvater Winfried Kretschmann vehementen Widerspruch geerntet. Er, so Kretschmann, habe "immer gesagt, was das Asylrecht betrifft, ist das Boot nie voll", und hier stimme er mit der Bundeskanzlerin und dem Innenminister vollkommen überein: "Das Grundrecht auf Asyl ist ein Grundrecht und Grundrechte sind nicht quantitativ beschränkt".

Unmut hatte Palmer zudem auch mit der Forderung nach schnellen Abschiebungen derer gefordert, die als Wirtschaftsflüchtlinge ersichtlich nicht unter die Definition des Asylgesetzes und der Genfer Flüchtlingskonvention fallen. Wenn man wisse, "dass 99 Prozent der Menschen aus den Balkan-Ländern sowieso abgelehnt werden, dann bin ich der Meinung, dass das auch richtig ist", so Palmer. Und dies sage er grade in Richtung seiner Parteifreunde: "wenn 1/3 hierbleiben kann und soll, dann müssen wir denen Deutschkurse und Integrationsleistungen zur Verfügung stellen. Dann müssen wir aber auch dafür sorgen, dass diejenigen, die nicht hierbleiben dürfen, in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden".

Zudem hatte der Tübinger OB früh vor dem Erstarken rechter Parteien wie der AfD gewarnt, sofern es keine Ergebnis offenen und schonungslosen Diskussion über die möglichen Folgen der Zuwanderung wenn die Politik die Sorgen der Menschen nicht Ernst nehme.

Zu einem "ehrlichen Bild gehöre, dass jetzt "vor allem die jungen Männer kommen", "aus Gesellschaften, die anderen Normen als wir pflegen". Deshalb werde es "große Anpassungsleistungen erfordern, sie in hiesige Gesellschaft zu integrieren. Zu erwarten sei, dass es besonders im unteren Einkommensdrittel zu sozialen Spannungen kommen könne. Es sei eine "Konkurrenzsituation" um bezahlbaren Wohnraum und ein Verdrängungswettbewerb um Einkommensanteile zu befürchten. Lege man das nicht auf den Tisch, werde es "wirklich explosiv".

Von der Bundeskanzlerin hatte Palmer zudem mehr Geld für die anstehenden Integrationsaufgaben gefordert. Dass man die Herausforderungen und Problemlagen zunächst schön geredet habe, so Palmer in diesem Januar, habe erst zum Erfolg von rechtem Protest geführt. Es sei ein großer Fehler gewesen, Diskussionen "darüber zu vermeiden" und die Besorgten sofort "in die rechte Ecke zu stellen". Das nütze nichts, sondern stärke Parteien wie die AfD.

Schon zu Jahresbeginn sah sich Palmer im leisen politischen Kurswechsel der Bundeskanzlerin und ihrer Koalition bestätigt: Nach der ungewollten Sperrung der Balkan-Route, dem Türkei-Rückführungsabkommen und den schärferen Integrationsbedingungen durch das Asylpaket 2. Aktiv sei "durch Europa dafür gesorgt worden, dass nur noch wenige Flüchtlinge zu uns kommen".

Palmer sieht hierin die Einsicht der Bundeskanzlerin, das die eigene Gesellschaft überfordert worden sei, "bei dem was ihr da zugemutet wurde". Dass die Bundeskanzlerin jetzt auch zugebe, Fehler gemacht zu haben, sei gut. Die sich derzeit abzeichnende Politik von Angela Merkel könne er mit jedem Satz unterschreiben, so Palmer auf Facebook. Genau so schaffe man das.

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